Angarlag
Das Angarlag (Angarsky ITL) befand sich seit 1947 bis 1964 in Ostsibirien, 640 km nordwestlich der Stadt Irkutsk. Die Verwaltung hatte zunächst ihren Sitz in Bratsk und seit dem Juni 1949 östlicher, in der Siedlung Sajarsk. Die Inhaftierten wurden hauptsächlich beim Eisenbahnbau, bei der Holzgewinnung und im Zivil- und Industriebau eingesetzt.
Entwicklung des Lagerkomplexes: Bau der BAM und das Oserlag
Von Ende der 1940er- bis Anfang der 1960er-Jahre spielten die Häftlinge der „Besserungs-Arbeitslager“ (ITL) eine zentrale Rolle bei der Erschließung und Industrialisierung der Region Irkutsk. Die Geschichte des Angarlag ist vor allem mit dem Bau der Baikal-Amur-Magistrale (BAM) verbunden.
Der Bau des westlichen Abschnitts der BAM auf der Strecke Taischet–Bratsk begann bereits 1938, wurde jedoch im folgenden Jahr praktisch eingestellt, da der Bau der östlichen Abschnitte Vorrang erhielt. Erst 1941 nahm man die Arbeiten wieder auf, und nach dem Ende des Großen Vaterländischen Krieges kehrte man schließlich zur Idee zurück, die Eisenbahnstrecke Taischet–Bratsk–Ust-Kut (Bahnhof Lena) weiter auszubauen.
Um den Bau zu beschleunigen, wurden Anfang 1947 Umstrukturierungsmaßnahmen auf der Strecke durchgeführt. Mit dem Befehl Nr. 025 des Innenministeriums vom 13. Januar 1947 entstand die „Westliche Verwaltung für Bauarbeiten und Lager der BAM“, zuständig für den Abschnitt Taischet–Bratsk. Gemäß demselben Befehl wurde die Verwaltung des Östlichen ITL aus dem Fernen Osten nach Bratsk verlegt und in Angarsky ITL (Angarlag) umbenannt, das fortan den Bau der Strecke Bratsk–Ust-Kut betreuen sollte. Mit dem Umzug wurden auch Personal, technische Ausrüstung und die notwendige Infrastruktur für die Ersteinrichtung an den neuen Standort verlegt.
Zunächst hatte jedoch der Abschnitt Taischet–Bratsk Priorität. Unter extremen klimatischen Bedingungen, mit knappen Fristen und vor allem manueller Arbeit wurden die Bauarbeiten vorangetrieben. Um mehr Arbeitskräfte zu gewinnen, setzte man den Bau Richtung Ust-Kut vorübergehend aus. Die Insassen des Angarlag wurden auf den Abschnitt Taischet–Bratsk umgeleitet. Trotz großer Schwierigkeiten erreichte Ende 1947 der erste Zug den Bahnhof Bratsk – die Strecke war jedoch zu diesem Zeitpunkt kaum betriebsfähig.
Nach der Fertigstellung der Hauptbahn bis Bratsk im Jahr 1948 folgten weitere Umstrukturierungsmaßnahmen im Baugebiet: Die Westliche Verwaltung der BAM wurde aufgelöst und in Verwaltung des Taischet-ITL umbenannt. Doch bereits im September desselben Jahres wurde das Taischet-ITL geschlossen. Die Häftlinge kamen in das Angarlag. Somit blieb bis Ende 1948 im Bereich der noch im Bau befindlichen, 700 Kilometer langen Eisenbahnstrecke Taischet–Bratsk–Ust-Kut nur das Angarlag bestehen.
Die Geschichte des Lagerkomplexes ist untrennbar mit der des Sonderlagers 7 (Oserlag) verbunden. In der Gründungsphase stand das Sonderlager unter der Leitung der Verwaltung des Angarlag. Bereits Ende 1949 wurde das Oserlag jedoch zu einem eigenständigen Lager mit eigenen Produktionsaufgaben.
Im Zuge der Beschleunigung des Baus der gesamten Strecke Taischet–Ust-Kut kam es im April 1950 zu einer klaren Aufgabenteilung: Der Abschnitt Taischet–Bratsk wurde dem Oserlag übertragen, während sich das Angarlag auf den Weiterbau der Strecke Bratsk–Ust-Kut konzentrierte. Die Verlegung der Hauptstrecke bis zum Bahnhof Lena wurde bereits am 25. November 1950 abgeschlossen und der provisorische Verkehr auf der gesamten Strecke aufgenommen.
Nach Abschluss der Arbeiten wurden im Dezember 1950 beide Streckenabschnitte wieder der Verwaltung des Angarlag unterstellt. Das Lager übernahm den Betrieb der Strecke, um einen reibungslosen Gütertransport zu gewährleisten, sowie abschließende Bau- und Montagearbeiten. Das Oserlag wurde hingegen auf die Holzgewinnung spezialisiert, stellte der Eisenbahn jedoch weiterhin einen Teil seiner Häftlinge im Rahmen vertraglicher Vereinbarungen zur Verfügung.
Zusammenfassend entwickelte sich die Zuständigkeit für das Angarlag wie folgt: Zunächst unterstand es der Westlichen Verwaltung für Bauarbeiten und Lager der BAM, die für die Organisation der frühen Bau- und Lagerstrukturen entlang des westlichen BAM-Abschnitts verantwortlich war. Am 21. April 1948 wurde der Lagerkomplex direkt der Hauptverwaltung der Lager für Eisenbahnbau (GULSchDS) unterstellt. Nach Stalins Tod im Jahr 1953 fanden auf der Eisenbahnstrecke Taischet–Bratsk–Ust-Kut wichtige Umstrukturierungsmaßnahmen statt. Der Bau der Eisenbahnlinie mit allen Neben- und Hilfsbetrieben sowie den Versorgungsbetrieben wurde vom Innenministerium an das Verkehrsministerium übertragen. Seit dem 2. April 1953 war das Angarlag ein vom Bau unabhängiger, eigenständiger Betrieb, der dem Justizministerium der UdSSR unterstellt war (GULag des Justizministeriums (MJu)). Ab dem 28. Januar 1954 war die GULag des Innenministeriums (MWD) für das Lager zuständig. Schließlich wurde das Lager am 31. Januar 1957 der Hauptverwaltung der Besserungsarbeitskolonien (GUITK) des Innenministeriums der RSFSR zugeordnet.
Insassen
Kurz nach der Eröffnung des Lagers im Mai 1947 waren dort 6 701 Menschen registriert. Bis zum Jahresende stieg die Zahl auf 15 002, doch am 1. Januar 1948 betrug sie nur noch 9 646. Nach der Auflösung des Taischet-ITL im September 1948 wurden 24 900 Häftlinge in das Angarlag verlegt, und am 1. Januar 1949 betrug die Gesamtzahl der Häftlinge bereits 35 959 Personen. Die höchste Zahl wurde am 1. Januar 1950 mit 43 591 Personen verzeichnet, nachdem Anfang 1949 mehrere Tausend Personen für den Bau der Eisenbahn dorthin verlegt worden waren. Ein Jahr später lag die Zahl mit 41 626 nur geringfügig darunter. Im Januar 1952 waren 26 858 Häftlinge im Lager registriert, am 1. Januar 1953 waren es 21 156. Nach Stalins Tod und den darauffolgenden Amnestien sank die Zahl der Häftlinge im Lager bis zum 1. Juli 1953 auf fast die Hälfte – 12 016 Personen. Bis 1954 stieg die Zahl wieder auf 20 443, sank dann erneut und betrug am 1. Januar 1960 offiziell 9 927 Personen. 1964 wurde das Angarlag aufgelöst. Die verbliebenen Häftlinge verlegte man in das Dubrawlag (Mordowien).
Im Lager befanden sich sowohl reguläre Häftlinge als auch „politische“ Gefangene. Unter den ausländischen Häftlingen waren deutsche und japanische Staatsbürger, die gemäß Dekreten von 1955 bzw. 1956 vorzeitig entlassen wurden.
Funktionen und Besonderheiten
Die Häftlinge des Angarlag waren auf verschiedenen Baustellen und in Betrieben der Region tätig. Sie arbeiteten hauptsächlich am Bau und bei der Instandhaltung der Eisenbahnstrecke Bratsk–Ust-Kut, einschließlich des Baus der Brücke über die Angara, sowie am Abschluss der Eisenbahnstrecke Taischet–Bratsk.
Darüber hinaus wurden sie in Industriebetrieben und bei landwirtschaftlichen Arbeiten eingesetzt, darunter bei der Holzgewinnung, bei Schiffstransporten auf der Angara, im Betrieb von Holzverarbeitungs- und Ziegelwerken sowie in landwirtschaftlichen Betrieben. Sie arbeiteten in zentralen Reparaturwerkstätten in Taischet und Ilim sowie in Mechanikwerkstätten in Bratsk und Sajarsk. Darüber hinaus führten sie Kfz-Reparaturen durch und beteiligten sich an der Kalkproduktion, der Glimmerverarbeitung und den Arbeiten in Sägewerken.
Zusätzlich wurden sie für infrastrukturelle Bauprojekte eingesetzt: Dazu gehörten der Bau einer Überlandstraße für das Ministerium für erdölverarbeitende Industrie vom Angara-Lena-Abschnitt bis zur Erdölanlage in Ust-Kut, der Bau provisorischer Werften, Flusshäfen, Umschlagplätze mit Gleisanschluss, Spezialspeicher für Sprengstoffe und Zubringerstraßen. Sie modernisierten die Erdölanlage in Ust-Kut, bauten eine Gleisanbindung und führten Näh- und Schusterarbeiten für den eigenen Bedarf durch. Darüber hinaus waren sie an zahlreichen weiteren Bau- und Produktionsarbeiten beteiligt.
Viele dieser Arbeiten führten sie gemeinsam mit den Häftlingen des nahegelegenen Oserlag durch. Gemeinsam entwickelten sie auch die Infrastruktur der Siedlungen entlang der Bahnstrecke. Dort bauten sie Bahnhöfe, Krankenhäuser, Kantinen, Clubs, Geschäfte und Wohnhäuser.
Nach der Umstrukturierung des Lagersystems im Jahr 1953, nach Stalins Tod, stellte das Lager Arbeitskräfte für Bauarbeiten bei der Eisenbahn auf Vertragsbasis zur Verfügung, wobei die Anträge nicht immer von der Lagerleitung genehmigt wurden. Eine problematische Situation entstand nach der groß angelegten Freilassung von Häftlingen im Rahmen einer Amnestie am 27. März 1953, die zu einer erheblichen Verkleinerung der Angaralag-Einheiten führte, die den Bau unterstützten (von 28 Lagerpunkten am 1. Januar 1953 auf 12 Lagerpunkte am 31. Dezember 1953). Infolgedessen wurden die Arbeiten auf dem Eisenbahnabschnitt Bratsk–Ust-Kut vom 384. bis zum 542. Kilometer aufgrund des Mangels an Arbeitskräften fast vollständig eingestellt. Darüber hinaus wurden einige Holzfällerlager und landwirtschaftliche Betriebe aus dem Oserlag in den Zuständigkeitsbereich des Angarlag überführt. Die Leitung des Angarlag begann daraufhin, die qualifiziertesten Arbeitskräfte in die Holzgewinnung und Landwirtschaft zu verlegen. Dadurch konnte der Bedarf der Eisenbahn an Arbeitskräften im Zeitraum Juni bis Dezember 1953 nur zu 70–80 Prozentgedeckt werden. Aufgrund zahlreicher Mängel gab das Verkehrsministerium die Strecke Taischet–Ust-Kut schließlich erst 1958 für den regulären Betrieb frei.
Lokales Gedenken
Im August 1989 wurde im Bezirk Bratsk an der Maly-Mamyr-Bucht ein Denkmal errichtet – ein Holzkreuz mit der Aufschrift „Ewige Erinnerung an die Opfer der Gulag“. Formal befindet es sich auf dem Gebiet des Oserlag, kann aber auf alle Häftlinge der Region bezogen werden.
1992 wurde in Bratsk in der Nähe der Andrej-Rubljow-Kirche auf Initiative der örtlichen Gruppe der Gesellschaft Memorial ein Gedenkkreuz für die Opfer politischer Repressionen aufgestellt.
Quellen und Literatur
Michail Smirnow (Hrsg.), Das System der Besserungsarbeitslager in der UdSSR 1923–1960. Handbuch, Moskau 1998. Darin: Angarlag, Östliches ITL
Kurt Bährens, Deutsche in Straflagern und Gefängnissen der Sowjetunion, Band V/2, München 1965

