Dalstroj (Kolyma)
Dalstroj (Bauverwaltung Fernost) war der größte Lagerkomplex der UdSSR. Er wurde Anfang der 1930er-Jahre zur Förderung der Goldreserven im oberen und mittleren Flussabschnitt der Kolyma sowie zur Erschließung der nordöstlichen Grenzgebiete der UdSSR errichtet. Ursprünglich erstreckte sich sein Gebiet über die Region Magadan. Später wurde es systematisch auf die Halbinsel Tschukotka, einen Teil Jakutiens, das Gebiet Chabarowsk sowie Kamtschatka ausgeweitet. Es umfasste damit knapp zehn Prozent des sowjetischen Staatsgebietes. Der Gulag in der Kolyma sowie das dazugehörige Großunternehmen waren Teil des in den 1930er-Jahren entstandenen Industrie- und Lagerkomplexes der UdSSR. Sie bildeten bis Mitte der 1950er-Jahre eines der wichtigsten Elemente der sowjetischen Volkswirtschaft.
Zur Entstehung und Entwicklung des Lagerkomplexes
1916 wurde zum ersten Mal von Goldfunden im Oberlauf des Kolyma-Zuflusses Srednekan berichtet. 1928 übernahm das Staatsunternehmen Sojussoloto die Kontrolle über dieses Goldgebiet und zwang die einzelnen Goldschürfer zum Verkauf ihrer Funde. Einzelpersonen wurde das Goldsuchen untersagt. Aus Moskau traf die erste Kolyma-Expedition ein und nahm die Arbeit auf. Eine Verordnung des Arbeits- und Verteidigungsrates der UdSSR rief am 13. November 1931 die Nationalunion Straßen- und Industriebau für den Oberlauf der Kolyma, Dalstroj, ins Leben. Dalstroj wurde dem Arbeits- und Verteidigungsrat der UdSSR unterstellt und erhielt als Startkapital 300 Millionen Rubel. Am 1. April 1932 wurde Sewwostlag (Besserungsarbeitslager Nordost) unter der Leitung von Dalstroj gegründet. Am 4. März 1938 wurde Dalstroj der Kontrolle des NKWD unterstellt und zur Bauhauptverwaltung Fernost, GUSDS Dalstroj, umbenannt.
Am 11. Juni 1938 ordnete der Dalstroj-Direktor die Verlängerung des Arbeitstages der Gefangenen an, der nunmehr bis zu 16 Stunden dauern konnte. 1939 betrug die Zahl der Häftlinge 138 170 Menschen. 1938 wurden 47 Prozent aller Gefangenen in den Goldminen eingesetzt, 1941 waren es sogar 79 Prozent der Häftlinge. Während des Zweiten Weltkrieges war Dalstroj Hauptlieferant von Zinn und Wolfram für die sowjetische Rüstungsindustrie. Aus Anlass des Kriegsendes wurde eine Amnestie angeordnet, die in erster Linie die kriminellen Häftlinge betraf. Ab 1945 wurden keine Angaben mehr zur Goldfördermenge veröffentlicht.
Am 28. Februar 1948 wurde auf Anweisung des Innenministers der UdSSR das Sonderlager Nr. 5 Berlag (Küstenlager) durch die Zusammenlegung eines Teils der Sewwostlag-Sektoren eingerichtet. Hier wurden politische Gefangene inhaftiert, die zu Höchststrafen verurteilt worden waren. Es herrschten ähnliche Strafbedingungen wie in einer Strafvollzugsanstalt. Die Gefangenen mussten Schwerstarbeit verrichten. An der Kolyma begann man mit der Uranförderung.
Zum 1. Januar 1949 betrug die Häftlingszahl in Sewwostlag 108 865 Menschen. Diese verteilten sich auf insgesamt 31 Nationalitäten. Die zahlenmäßig am stärksten vertretenen waren am 1. Oktober 1949: Russen: 61,4 %, Ukrainer: 18 %, Weißrussen: 4,2 %, Tataren: 1,8 %, Deutsche: 1,1 % und Polen: 1 %.
Nach Stalins Tod besserten sich die Lebensbedingungen in den Lagern. Im Jahre 1954 wurde das Sonderlager Nr. 5 Berlag geschlossen. Ab 1957 begann man mit der Schließung weiterer Lager an der Kolyma. Einige existierten jedoch noch bis in die 1960er-Jahre. Das Jahr der endgültigen Schließung der Kolyma-Lager ist unbekannt, da die Dokumente nach dem 25. Januar 1960 noch nicht öffentlich zugänglich sind. In den 1970er-Jahren diente die Kolyma weiterhin als Deportationsort für politische Gefangene.
Wirtschaftszweige
Die Lagerinsassen wurden für folgende Arbeiten eingesetzt:
- Bestimmung und Förderung der Goldreserven im Becken der Kolyma und der Indigirka
- Bau und Betrieb der Goldförderwerke (insgesamt 50 Goldminen)
- Förderung von Zinn, Wolfram, Kobalt und Molybdän
- Bau und Betrieb der Häfen in den Buchten Nachodka und Wanino sowie des Hafens Pewek auf der Halbinsel Tschukotka
- Bau von Straßen, Flughäfen, Eisenbahnlinien, Wohnhäusern und Gemeindegebäuden in Magadan und anderen Städten
Häftlingssterblichkeit
Das Polarklima und die strengen, mehrere Monate währenden Winter, die Polarnacht und vor allem die Entfernung dieser Region vom europäischen Teil der Sowjetunion machten die Lebensbedingungen in den Kolyma-Lagern äußerst beschwerlich. Die verfügbaren Daten zur Häftlingssterblichkeit sind unvollständig. 1956 soll die Sterblichkeitsrate in den Dalstroj-Lagern bei 7,2 Prozent gelegen haben. Die häufigsten Todesursachen waren Unterernährung und die schwere körperliche Arbeit unter extremen klimatischen Bedingungen. In der Zeit des Großen Terrors 1937/38 wurden rund 12 000 Häftlinge an der Kolyma hingerichtet.
Literatur
Tomasz Kizny (Hg.), GULAG, Hamburg 2004.
Warlam Schalamow, Erzählungen aus Kolyma, Berlin 2007–2018
Mirjam Sprau, Gold und Zwangsarbeit. Der Lagerkomplex Dal'stroj, in: Osteuropa 58 (2008) 2, S. 65-79.
Dies., Kolyma und Magadan. Ökonomie und Lager im Nordosten der Sowjetunion, in: Julia Landau/Irina Scherbakowa (Hg.), Gulag. Texte und Dokumente 1929-1956, Bonn 2014, S. 80-91.
Dies., Kolyma nach dem Gulag. Entstalinisierung im Magadaner Gebiet 1953–1960, Berlin 2018.