Oserlag (Taischet)
Das Oserlag wurde im Dezember 1948 als eines der Sonderlager des Ministeriums für innere Angelegenheiten (MWD) gegründet und bestand mindestens bis 1960. Es war eines der größten sowjetischen Straflager in der Angara-Region in Sibirien, wobei sich die Lagerverwaltung in Taischet (Irkutsker Gebiet) befand. Unter den Lagern der Stalin-Ära war es für seine Strenge bekannt und genoss noch zur Regierungszeit von Nikita Chruschtschow traurige Berühmtheit. Zwischen 1948 und 1954 wurden die Häftlinge durch harte Zwangsarbeit ausgebeutet. Dazu zählten ein zehnstündiger Arbeitstag, hohe Produktionsstandards sowie der Einsatz von Menschen mit Behinderungen. Die Gefangenen kamen im Eisenbahnbau, im Holzeinschlag und in der Holzverarbeitung, im Industrie- und Wasserbau, in diversen Industriebetrieben, beim Abbau von Bodenschätzen sowie in der Landwirtschaft zum Einsatz.
Geschichte des Lagers
Das Sonderlager Nr. 7 des Ministeriums für innere Angelegenheiten der UdSSR wurde auf der Grundlage eines Beschlusses vom 7. Dezember 1948 im Jahr 1949 in der Nähe der Bahnstrecke Taischet–Bratsk auf dem Gelände des ehemaligen Taischetsker Besserungsarbeitslagers Nr. 7 eingerichtet. Ursprünglich besaß es wie auch die übrigen elf Sonderlager keinen Namen und wurde chronologisch nach dem Datum seiner Gründung durchnummeriert. Erst später erhielt es wie die anderen Sonderlager einen Decknamen, der keinen Bezug zur Realität hatte. So gibt es in der unmittelbaren Umgebung des Lagers Nr. 7 – Oserlag, dessen Name sich vom russischen Wort für „See“ ableitet, keine Seen.
Zu Beginn des Jahres 1949 befanden sich im Oserlag 2 342 Häftlinge. Anfang des Jahres 1950 war die Zahl bereits auf 31 881 gestiegen. Die Häftlinge des Oserlag kamen als Ersatz für die repatriierten japanischen Kriegsgefangenen, die zuvor den Großteil der Bauarbeiter der Eisenbahn nach Bratsk ausgemacht hatten. Nun wurden Häftlinge aus Lagern und Untersuchungsgefängnissen in anderen Regionen des Landes sowie aus Angarlag-Einheiten und anderen Haftanstalten des allgemeinen Regimes in den Bereich des Taischet-Lena-Eisenbahnbaus verlegt. Die Zahl der Häftlinge stieg aufgrund der Umverteilung von Gulag-Häftlingen ständig an, um die Arbeitskräfte auf Großbaustellen und in Betrieben zu konzentrieren. Der Höchststand der Häftlingszahl wurde am 1. Januar 1952 mit 37 093 Personen verzeichnet.
Nach Stalins Tod am 5. März 1953 kam es zu einer Reihe von Reformen im Gulag-System. Im Juni 1954 wurde das Oserlag wie alle anderen Sonderlager in ein Besserungsarbeitslager (ITL) umstrukturiert. Mit dem Regimewechsel änderten sich auch die Zahl der Häftlinge und die Zusammensetzung der Lagergesellschaft. Durch Amnestien Mitte der 1950er-Jahre und Bewährungsstrafen ging die Zahl der Häftlinge zurück. Am 1. Januar 1954 befanden sich 29 347 Häftlinge im Lager, am 1. Januar 1957 waren es nur noch 10 563.
Ab der zweiten Hälfte der 1950er-Jahre füllte sich das Lager nach der Freilassung zahlreicher politischer Häftlinge mit kriminellen Gefangenen. Bis zum November 1955 hatten alle ausländischen Gefangenen das Oserlag verlassen. Im Laufe des Jahres 1961 wurden alle übrigen wegen „Staatsverbrechen“ Verurteilten in andere Haftanstalten außerhalb der Region Irkutsk verlegt.
Im Jahr 1960 wurden Angarlag und Oserlag zusammengelegt. Im Jahr 1963 wurde Oserlag in Angarsk ITL umbenannt, das schließlich 1964 aufgelöst wurde.
Insassen
Während des Stalin-Regimes befanden sich im Oserlag sowjetische Soldaten, die in deutsche Kriegsgefangenschaft geraten waren, Vertreter der ersten russischen Emigrationswelle, Personen, die der Kollaboration mit den Nazis während des Krieges beschuldigt wurden, Mitglieder nationalistischer Organisationen in den baltischen Staaten, der Westukraine und Weißrussland und diejenigen, die mit ihnen kollaborierten oder mit ihnen sympathisierten. Ebenso waren Oppositionelle sowie Parteimitglieder, die Opfer des Terrors der 1930er-Jahre geworden waren, im Oserlag inhaftiert. In der Nachkriegszeit wurden auch Deutsche, Polen, Ungarn, Franzosen, Japaner, Koreaner und Angehörige anderer Nationalitäten dort festgehalten. Erst 1954 wurden die ausländischen Gefangenen in separaten Lagern oder Lagerabteilungen konzentriert, im Oserlag in den Lagerpunkten 013 und 043.
Trotz des „besonderen“ Status des Lagers befanden sich dort neben den politischen Häftlingen (verurteilt nach dem Artikel 58) auch Häftlinge wegen gewöhnlicher Straftaten. Am 18. April 1951 zählten von den 36 910 Gefangenen 3 685 zu dieser Gruppe. Sie wurden getrennt von den Gefangenen untergebracht, die wegen „konterrevolutionärer Vergehen“ verurteilt worden waren.
Nach Stalins Tod kam es auch im Oserlag trotz der weit auseinanderliegenden Lagerpunkte zu Arbeitsniederlegungen, Hungerstreiks und Häftlingsaufständen. Diese waren vor allem auf eine Verbesserung der unmenschlichen Lebens- und Arbeitsbedingungen gerichtet. Im Mai 1954 entwaffneten in einem Lagerpunkt unweit von Bratsk Gefangene aus dem Baltikum und der Westukraine die Wachmannschaft und flüchteten massenhaft in die Taiga.
In den Jahren, in denen das Lager als Sonderlager geführt wurde, starben dort 4 221 Häftlinge. Dies ist wesentlich mehr als in anderen Sonderlagern des Innenministeriums. Die hohe Sterblichkeitsrate kann unter anderem durch die große Anzahl von Menschen mit Behinderungen, mit chronischen Krankheiten sowie von älteren Menschen erklärt werden. Im Jahr 1951 gab es im Lager 8 063 Menschen mit Behinderungen, was 24 Prozent der Gesamtzahl der Gefangenen entsprach.
Zwangsarbeit
Das Oserlag bestand aus über 50 sogenannten Lagerpunkten, in denen bis zu 2 000 Menschen gefangen gehalten wurden. Da die Häftlinge des Oserlag hauptsächlich beim Bau der Eisenbahnstrecke Baikal-Amur-Magistrale (BAM) eingesetzt waren, verteilten sich die Außenlager über den gesamten 300 km großen Abschnitt. In den Jahren 1949 bis 1951 bauten sie den westlichen Abschnitt der BAM: die Strecke Taischet–Bratsk und danach bis Ust-Kut (Station Lena). Sie schotterten das Hauptgleis, errichteten künstliche Bauwerke sowie Wasserversorgungsstellen und legten Zufahrts- und Bahnhofsgleise an. Außerdem bauten sie Brücken, Bahnhöfe und Depots. Der Bau der Eisenbahn erfolgte weitgehend in Handarbeit, was sich auf die Qualität der ausgeführten Arbeiten auswirkte und die Fertigstellung verzögerte. Neben dem Bau und der Instandhaltung der Eisenbahnlinie bauten die Häftlinge die Infrastruktur von Siedlungen entlang der Strecke aus, darunter in Wichorewka, Tschun und Ansjobi. Sie errichteten Krankenhäuser, Kantinen, Klubs, Geschäfte und Wohnungen.
Daneben wurde die Arbeitskraft der Oserlag-Häftlinge in großem Umfang beim Holzeinschlag und der Holzverarbeitung eingesetzt. Die wichtigsten Holzfällerlager des Oserlag befanden sich in den Waldgebieten Tschunskoje und Ansjebo-Wichorewskoje, wo auch holzverarbeitende Betriebe waren. Das Holzverarbeitungswerk bei Tschun deckte nicht nur den Bedarf der Taischet-Lena-Eisenbahn, sondern lieferte auch Produkte (Schnittholz, Standard-Fertighäuser) für die „großen Baustellen des Sozialismus“, darunter für den Bau des Stalingrader Wasserkraftwerks und des Turkmenischen Hauptkanals. Oserlag-Häftlinge waren auch am Bau der Wasserkraftwerke Bratsk und Ust-Ilimsk beteiligt, wo sie das Bett der künftigen Stauseen ausräumten und Rodungen für Stromleitungen vornahmen. Auch der Industriestandort Taischet entwickelte sich unter Beteiligung der Häftlinge des Oserlag. Häftlinge des Lagerpunktes 048 arbeiteten zum Beispiel in den Werkstätten des zentralen Autoreparaturwerks in Taischet und reparierten die meisten der auf der Strecke Taischet-Lena eingesetzten Maschinen und Geräte. Der Bedarf der Bahn an Schwellen wurde durch das Schwellenimprägnierwerk Taischet gedeckt, das ebenfalls auf die Arbeitskraft von Häftlingen aus dem Oserlag zurückgriff. In den späten 1950er-Jahren wurden Gefangene von der Yurty-Spezialabteilung „Industroj“ Yurty (Bezirk Taischet) sowie von der Irkutsker Bau- und Montageabteilung des Trusts „Gidrolispromstroj“ eingesetzt, der in der Siedlung Sujeticha (heute Birjussinsk, Bezirk Taischet) eine Hydrolyseanlage baute.
Lokales Gedenken
Am 30. Oktober 2010 wurde in Wichorewka ein Denkmal für die Opfer des Oserlag enthüllt. Im Jahr 2020 wurde in Taischet ein Gedenkplatz mit einem Denkmal eingeweiht, der die Inschrift trägt: „Die Einwohner von Taischet den Opfern politischer Repressionen“.
Von 1937 bis 1960 befanden sich nahe der Siedlung Kwitok im Bezirk Taischet Lagerpunkte des Taischetlags, Bamlags und Oserlags, das zentrale Lagerkrankenhaus sowie die Sondersiedlung Solotaja Gora. Auf dem Friedhof „Solotaja Gora“ wurden die im Lagerkrankenhaus verstorbenen Häftlinge sowie Sondersiedler und Deportierte aus den Siedlungen Kwitok und Solotaja Gora bestattet. Im Jahr 1996 wurde auf Initiative und durch die Bemühungen der polnischen Kulturautonomie „Ogniwo“ (Irkutsk) auf dem Friedhof ein katholisches Kreuz errichtet, und im Jahr 1999 wurde am Fuß des Kreuzes eine Gedenktafel angebracht. 2006 errichtete die Schule Nr. 85 von Taischet auf dem Friedhof ein Denkmal mit einer Gedenktafel, auf der zu lesen ist: „Gefangene der Gulag-Lager von Taischet, unrechtmäßig verurteilt und in Gefangenschaft gestorben“.
Quellen/Literatur
Kurt Bährens, Deutsche in Straflagern und Gefängnissen der Sowjetunion, Band V/2, München 1965