*18.7.1930 (Leipzig) | † 27.2.1998
Hans-Dieter Scharf
„Wir waren ein Freundeskreis von zwanzigjährigen Studenten, weiter nichts ...“
Sein Chemielehrer weckte in Hans-Dieter Scharf Interesse für das Fach, das er im Oktober 1949 an der Universität Leipzig zu studieren begann. Neben dem Chemie-Studium beschäftigte er sich auch mit aktuell-politischen Themen. Dem zunehmenden Druck auf die Studenten, sich für den Aufbau des Sozialismus politisch zu engagieren, versuchte er sich zu entziehen. Stattdessen besuchte er von der LDPD organisierte Diskussionen über die wachsende Unfreiheit an der Universität.
Am Abend des 6. Oktober 1950 wurde Hans Dieter Scharf kurz vor der Wahl zur Volkskammer der DDR von zwei Männern in Zivil verhaftet. Nach einigen Tagen Untersuchungshaft im Polizeipräsidium Leipzig übergab man ihn wegen Aufbewahrung von antisowjetischer Literatur dem sowjetischen Staatssicherheitsdienst. Bei einer Hausdurchsuchung waren bei Hans-Dieter Scharf, der noch bei seinen Eltern in Leipzig wohnte, Ausgaben des „Reader‘s Digest“ und der politischen Zeitschrift „Der Monat“ gefunden worden.
Ab dem 10. Oktober 1950 war Hans-Dieter Scharf in der MGB-Untersuchungshaftanstalt Bautzner Straße in Dresden inhaftiert. Unter mehrtägigem Essens- und Schlafentzug gestand er schließlich, einer „antisowjetischen Widerstandsgruppe an der Universität Leipzig“ angehört zu haben, obgleich er keinerlei aktive Oppositionsarbeit geleistet hatte.
Das Militärtribunal der Gruppe der Sowjetischen Besatzungstruppen in Deutschland (Feldpostnummer 48240) verurteilte Hans-Dieter Scharf am 20. Januar 1951 in Dresden wegen Mitgliedschaft in einer konterrevolutionären Gruppe und Verbreitung von antisowjetischer und antidemokratischer Literatur nach Artikel 58-10 und 58-11 des StGB der RSFSR zu zehn Jahren „Besserungsarbeitslager“. Mitverurteilte des Prozesses waren Herbert Belter, Otto Bachmann, Erhardt Becker, Peter Eberle, Rolf Grünberger, Werner Gumpel, Günter Herrmann, Siegfried Jenkner und Karl Miertschischk. Der zum Tode verurteilte Kommilitone Herbert Belter wurde in Moskau erschossen. Von Mitte März bis zur zweiten Aprilhälfte 1951 waren die übrigen Verurteilten im MGB-Gefängnis Berlin-Lichtenberg inhaftiert. Von dort wurden sie in den Lagerkomplex Workuta deportiert. Hans-Dieter Scharf musste dort im Schacht 29 Zwangsarbeit leisten.
Am 28. Dezember 1953 wurde er über Frankfurt/Oder und Fürstenwalde entlassen. Ein Telegramm an seine Eltern, dass er nach Hause komme, war das erste und einzige Lebenszeichen, das seine Eltern seit seiner Verhaftung am 6. Oktober 1950 erhielten. Am 19. Januar 1954 flüchtete er in die Bundesrepublik. Er schloss sein Studium ab, gründete eine Familie und promovierte. Später lehrte er als Professor für organische Chemie an der RWTH Aachen.
Die Hauptmilitärstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation rehabilitierte Hans-Dieter Scharf und alle im Prozess Verurteilten am 23. Mai 1994 auf seinen Antrag hin. Zur Begründung hieß es unter anderem, bei den Mitteilungen über studentische Versammlungen, die die Studenten unter sich austauschten, habe es sich nicht um Spionage gehandelt. Außerdem sieht das Rehabilitierungsgesetz vor, dass alle wegen antisowjetischer Agitation und Propaganda Verurteilten unabhängig vom Einzelfall als rehabilitiert gelten.
In der Reihe „Lebenszeugnisse – Leidenswege“ der Stiftung Sächsische Gedenkstätten veröffentlichte Hans-Dieter Scharf 1996 einen Bericht über seine Erlebnisse.
Am 27. Februar 1998 verstarb er.
Weitere Dokumente
- Urteil des Militärtribunals der Gruppe der sowjetischen Besatzungstruppen in Deutschland (Feldpostnummer 48240) gegen Hans-Dieter Scharf und andere, Dresden, 20. Januar 1951, Zentralarchiv des FSB
- Hans-Dieter Scharf, Gutachten zur Rehabilitierung, Hauptmilitärstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation, 23. Mai 1994
Quellen
- Hauptmilitärstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation, K-97073
- RGWA, f. 461, d. 170788
- Universitätsarchiv Leipzig (UAL), df002202
Veröffentlichungen
- Von Leipzig nach Workuta und zurück, Hans-Dieter Scharf, Lebenszeugnisse-Leidenswege Heft 2, bearbeitet und eingeleitet von Klaus-Dieter Müller, Stiftung Sächsiche Gedenkstätten, Dresden 1996