*20.12.1934 (Borna) | † ??.2.2015 (Bernsdorf)
Richard Böttge
Für Bleistiftstriche auf einem Lenin-Bild zu zehn Jahren Haft verurteilt
Richard Böttge wurde als ältestes von drei Kindern in Borna geboren. Sein Vater war Bergbauingenieur, was dazu führte, dass die Familie zunächst im Raum Leipzig oft den Wohnort wechselte. Nach dem Zweiten Weltkrieg zog die Familie nach Wiednitz in der Oberlausitz. Nach acht Klassen verließ Böttge das Gymnasium und begann eine Schlosserlehre bei der Firma „Heide“, wo auch sein Vater arbeitete. Er war Mitglied der FDJ und der Freiwilligen Feuerwehr.
Die Ausbildungsbedingungen waren schwierig. Die Berufsschule in Laubusch war nur umständlich zu erreichen, die Organisation vor Ort war oft chaotisch und planlos. Dies sorgte bei den Betrieben für Unmut und bei den jugendlichen Lehrlingen für Frustration. Böttge stand jedoch inzwischen kurz vor seinem Abschluss.
Der 12. Januar 1951 war wieder ein solch planloser Tag. Der Unterricht wurde spontan in die FDJ-Baracke verlegt, wo der Jugendleiter, der ein gespanntes Verhältnis zu den Lehrlingen hatte, für sie zuständig war. Während der Mittagspause überließ er die Jugendlichen sich selbst. Deren Unmut wuchs, da die übliche Versorgung mit Heißgetränken ausblieb. Um dem Jugendleiter Probleme zu bereiten, begannen einige Schüler ihrem Frust freien Lauf zu lassen. Eine DDR-Fahne wurde angezündet, der Feuerlöscher geleert und ein Bild Stalins beschädigt. Böttge hielt sich zunächst raus und spielte Klavier. Von anderen Mitschülern animiert verlängerte er jedoch auf einem Lenin-Porträt dessen Bart mit ein paar Bleistiftstrichen.
Der Jugendleiter ging auf die Ereignisse nach seiner Rückkehr nicht ein. Doch am Abend des 12. Januar erfolgte die Festnahme Böttges durch Volkspolizisten im Elternhaus. Die ersten Verhöre fanden im Keller des Polizeireviers Hoyerswerda statt. Am Folgetag wurde er der Staatssicherheit in Dresden übergeben. Diese übergaben ihn und drei seiner Klassekameraden am 18. Januar 1951 „den Freunden“. In deren Untersuchungsgefängnis an der Bautzner Straße wurden Böttge, Kurt Donnerstag, Friedhelm Hielscher und Herbert Lienig am 6. März 1951 vom Militärtribunal der 1. Garde-Panzerarmee (08640) wegen antisowjetischer Propaganda verurteilt. Böttge erhielt zehn Jahre Haft in einem "Besserungsarbeitslager".
Zunächst wurden die Jugendlichen in die Strafvollzugsanstalt Bautzen I verlegt. Böttge kam bald in einem Jugendsaal mit 250 weiteren Insassen unter und war in der Schneiderei tätig. Die katastrophalen Haftbedingungen verursachten bei ihm Hungerödeme. Kleine Linderung verschafften ihm die Pakete der Eltern, die er im April 1951 erstmals kontaktieren durfte. Von da an versuchte sein Vater, zusammen mit dem Betrieb und der FDJ, eine Amnestie für den Sohn zu erreichen. Antwort erhielt er nie.
Am 20. Januar 1952 erfolgte Böttges Verlegung nach Halle. Anfangs musste er dort im Keller Kartoffeln schälen, doch aufgrund des guten Verhältnisses zu einem Wärter wurde er bald Kalfaktor und später in der Küche tätig. Am 17. Januar 1954 wurde Böttge im Rahmen einer Generalamnestie entlassen.
Er kehrte zu seinen Eltern zurück und nahm seine Ausbildung nur zwei Wochen später wieder auf. Nach dem Abschluss im März 1955 schloss er ein Studium in der Bergingenieurschule Senftenberg an und wurde danach zunächst Jungingenieur in einer Brikettfabrik.
1958 heiratete er und wurde Vater zweier Töchter. Ab April 1960 war er in Hoyerswerda in der Fernwärmeabteilung tätig – bald als Abteilungsleiter. Trotz zahlreicher Ehrungen blieb ihm ein weiterer Aufstieg verwehrt. Er war einer ständigen Überwachung durch das MfS ausgesetzt, das ihn gar seines Postens entheben lassen wollte.
Seine traumatischen Erlebnisse in der Haft begleiteten Böttge zeitlebens. Einen Ausgleich fand er im Sport. Nach dem Zusammenbruch der DDR engagierte er sich aktiv im Bautzen-Komitee.
Weitere Dokumente
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- BArch Berlin, DO1/32.0/39739; DO1/32.0/397
- Hauptmilitärstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation, K-97138
- Zentralarchiv des FSB (ZA FSB), P-2451
Veröffentlichungen
- Ein Schulstreich veränderte sein Leben: Richard Böttge, in: Nancy Aris, Das lässt einen nicht mehr los. Opfer politischer Gewalt erinnern sich, Leipzig 2017, S. 204-216
- Gregor Weissflog, Kornelia Beer, Weiterleben nach politischer Haft in der DDR (als "Robert Bach"), Göttingen 2011, S. 155-161
- Horst Böttge, Drangsaliert und dekoriert. Von der Kunst des Überlebens in der DDR, Halle (Saale) 2015