„Im Namen der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken …“

Urteile sowjetischer Militärtribunale (SMT) in Dresden

*18.9.1929 (Dresden)

Erhard Radestock

Erhard Radestock, Passfoto, ZA FSB

Wegen Kontakts zur sozialistischen Jugendorganisation „Die Falken“ verurteilt


Erhard Radestock wuchs in einem sozialdemokratischen Elternhaus auf; sein Vater war Metallarbeiter und Mitglied der SPD. Nach Kriegsende machte er in Dresden eine Ausbildung zum Betonbauer. Radestock wurde Mitglied der SPD und später der SED. Ende 1948 trat er wegen der zunehmenden Unterdrückung sozialdemokratischer Meinungen und wegen der undemokratischen politischen Entwicklung aus der SED aus. Seit Anfang 1949 arbeitete er als Betonbauer beim Bau der „Volkswerft Stralsund“.

Erhard Radestock geriet im Frühjahr 1948 wegen seiner Zugehörigkeit zu einer Gruppe von Dresdner Jugendlichen, die Kontakt zur SPD-Jugendorganisation „Die Falken“ aufgenommen hatten, in das Blickfeld der sowjetischen Besatzungsmacht. Gemeinsam mit fünf weiteren Jugendlichen, die allesamt Mitglieder der Jugendorganisation Freie Deutsche Jugend (FDJ) waren, nahm er Ende Februar 1948 an einem Erfahrungsaustausch mit den „Falken“ in Westberlin teil, dem noch weitere folgten. Einer der mitgereisten Jugendlichen berichtete entweder im Kreisvorstand der FDJ oder direkt an die sowjetischen Sicherheitsorgane von den Treffen. Auch brieflich blieben die Dresdner Jugendlichen mit den „Falken“ im Kontakt.

Erst ein Jahr später, am 19. März 1949, wurde Erhard Radestock im Stralsunder Wohnheim von deutschen Polizisten verhaftet und anschließend direkt in das Untersuchungsgefängnis der sowjetischen Staatssicherheit in Dresden im so genannten „Heidehof“ an der Bautzener Straße überführt. Nach fünfwöchiger Untersuchungshaft verurteilte das Militärtribunal der Sowjetischen Militäradministration (SMA) des Landes Sachsen den 19-Jährigen am 28. April 1949 am Münchner Platz in Dresden auf der Grundlage von Artikel 58-6, Abschnitt 1 (Spionage) und Artikel 58-10 (antisowjetische Propaganda) des StGB der RSFSR zu 25 Jahren Haft in einem „Besserungsarbeitslager“. Mitverurteilte waren sein Jugendfreund Werner Andreck und dessen Verlobte Ella Stange, die vor ihm verhaftet worden waren. Werner Andreck war als Polizeischüler in Großenhain wegen unvorsichtiger Äußerungen denunziert worden. Das Tribunal warf den drei Angeklagten vor, im Auftrag der „Falken“ in Dresden eine Untergrundgruppe gegründet zu haben, die Informationen wirtschaftlichen, politischen und militärischen Charakters sammelte, antisowjetische Flugblätter und Literatur vertrieb und um weitere Mitglieder warb.

Die Haftstrafe verbüßte Erhard Radestock im sowjetischen Speziallager Bautzen und in der DDR-Strafvollzugsanstalt Bautzen. Am 7. April 1955 wurde er nach fast sechsjähriger Haft nach Dresden entlassen. Er heiratete 1957 seine Freundin Elisabeth, mit der er zwei Söhne bekam. Zum angestrebten Ingenieurstudium wurde er nicht zugelassen. Er nahm ein einjähriges Meisterstudium auf und arbeitete 30 Jahre in der Bauindustrie, zuletzt im Betonwerk auf der Strehlener Straße in Dresden. 1991 wurde er pensioniert.

Die Hauptmilitärstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation rehabilitierte Erhard Radestock am 16. März 1995 als Opfer politischer Repressionen.  

Erhard Radestock lebt in Dresden.

Weitere Dokumente

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Quellen

  • BArch, MfS, BV Ddn AP 138/54
  • Bundesarchiv (BArch) , NY4090/445
  • Dokumentationsstelle Dresden, Sammlung E. Radestock
  • Hauptmilitärstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation, 5-uw-104-95
  • Justizvollzugsanstalt Bautzen, 2674/50
  • Staatsarchiv der Russischen Föderation (GARF), f. 7212, op. 1, d. 233, l. 40-42
  • Zentralarchiv des FSB (ZA FSB), P-1378

Veröffentlichungen

  • Bautzen-Komitee (Hrsg.), Das gelbe Elend. Bautzen-Häftlinge berichten, 1945-1956, Halle/Saale 1992, S. 225-231.
  • Falco Werkentin (Hrsg.), Selbstbehauptung, Widerstand und Verfolgung. Die sozialistische Jugend Deutschlands - Die Falken in Berlin 1945-1961. Ausstellungskatalog. Schriftenreihe des Berliner Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR. Band 28, Berlin 2008