*24.10.1927 (Blankenheim, Kr. Sangerhausen) | † 11.2.1952 (Hoheneck/Stollberg (StVA))
Jutta Erbstößer
Verrat im Freundeskreis
Jutta Erbstößer, Tochter des Ehepaares Emma und Oskar Erbstößer, eines Bäckermeisters, wuchs mit ihren drei Geschwistern in Blankenheim und Leipzig auf.* Nach einer Ausbildung zur Hauswirtschaftsleiterin begann sie den Vorbereitungskurs für das Studium an der Leipziger Universität. Dort wurde sie im Oktober 1947 an der juristischen Fakultät immatrikuliert. Später wollte sie als Vormundschafts- und Jugendrichterin tätig sein. Zur Begründung führte sie bei der Bewerbung um einen Studienplatz an, viele Jugendliche, die aus wirtschaftlicher Not mit dem Gesetz in Konflikt geraten waren, würden zu hart bestraft. In der FDJ-Gruppe Leipzig-Eutritzsch traf sie Gleichaltrige, die wie sie nach der Katastrophe des Nationalsozialismus bei der Gestaltung einer besseren Zukunft anpacken wollten. 1947 trat sie in die SED ein.
Am 8. Januar 1948 beantragte Jutta Erbstößer den Wechsel des Studienplatzes an die juristisch-kriminalistische Fakultät der Universität Berlin. Einige Zeit später plante sie eine Fahrt nach Sigmaringen (französische Besatzungszone), um sich dort mit ihrem Freund, mit dem sie auf eine Verlobung zusteuerte, zu treffen. Am 24. Januar 1948 wurde Jutta Erbstößer im Zug von Leipzig nach Halle (Saale) verhaftet. Der Jugendreferent der LDP in Leipzig, Manfred Gerlach, den sie von ihren Treffen bei der FDJ kannte, hatte ihr einen verschlossenen Brief mitgegeben, den sie in Sigmaringen aufgeben sollte. Auch die Zugfahrkarte hatte Gerlach besorgt. Bei der Verhaftung habe man sie gezielt nach dem Brief gefragt, berichtete Jutta Erbstößer Mitgefangenen später.
Jutta Erbstößer wurde zunächst in das Gefängnis der sowjetischen Geheimpolizei in der Leipziger Moltkestraße überführt und im April 1948 in das Untersuchungsgefängnis am Münchner Platz in Dresden verlegt. Dort durfte sie am 24. April 1948 von ihrer Mutter besucht werden. Nach insgesamt drei Monaten Untersuchungshaft verurteilte sie das Militärtribunal des Landes Sachsen am 7. Mai 1948 am Münchner Platz auf der Grundlage von Artikel 58-6, Abschnitt 1 des StGB der RSFSR zu 25 Jahren Haft in einem „Besserungsarbeitslager“. Die Haftstrafe verbüßte Jutta Erbstößer zunächst in den sowjetischen Speziallagern Bautzen und Sachsenhausen und anschließend in der DDR-Strafvollzugsanstalt Hoheneck. In Krankenblättern sind Beschwerden dokumentiert, die medikamentös behandelt werden mussten. Nach einjähriger Haft in Hoheneck schrieb sie in einem Lebenslauf: „Da ich noch nicht weiß, über welche körperlichen und geistigen Kräfte ich nach meiner Entlassung verfüge, kann ich mir jetzt keine Pläne für meine spätere Zukunft machen.“
Gemeinsam mit anderen Gefangenen freundete sich Jutta Erbstößer mit jungen Wachtmeisterinnen an. Diese verbotenen Beziehungen wurden von Spitzeln unter den Häftlingen verraten. Bei einer Durchsuchung fand das Wachpersonal einen Kassiber bei Jutta Erbstößer. Dafür wurde sie mit Arrest bestraft. Trotz mehrfacher Befragung weigerte sie sich, den Namen der Absenderin des Kassibers zu nennen. Da auch Jutta Erbstößers Eltern in das Beziehungsgeflecht zwischen Gefangenen und Wärterinnen eingebunden waren, drohte man ihr an, diese zur Rechenschaft zu ziehen. Am 11. Februar 1952 erhängte sich die 24-Jährige aus Verzweiflung in ihrer Zelle. Zwei Tage später wurde ihr Leichnam im Krematorium Chemnitz eingeäschert.
Die Eltern erhielten die Mitteilung vom Tod ihrer Tochter mit dem Termin zur Einäscherung am Tag der Einäscherung – zu spät, um Abschiednehmen zu können. Ihre Bitte zur Übernahme der Urne ihrer Tochter wurde abgelehnt. Der Beisetzungsort der Urne ist unbekannt.
Die Hauptmilitärstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation rehabilitierte Jutta Erbstößer am 24. September 2003 als Opfer politischer Repressionen.
*Wir danken Herrn Prof. Dr. Stefan Appelius, Stollberg/Erzgeb., für wichtige ergänzende Hinweise.
Weitere Dokumente
- Kurzbiografie und Fotografie, Ehrenbuch der Universität Leipzig
- Jutta Erbstößer, Rehabilitierungsbescheid mit Übersetzung, Militärstaatsanwaltschaft der Strategischen Raketentruppen der Russischen Föderation, 17. Mai 2021
Quellen
- BArch, MfS, G-SKS 600020
- Hauptmilitärstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation, Isorg-4-951-21
- Staatsarchiv Chemnitz (SächsStA-C), 30461, StVA Hoheneck, Gefangenenkartei
- Staatsarchiv der Russischen Föderation (GARF), f. 9409, op. 1, d. 458.
Veröffentlichungen
- Der frühe Widerstand in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands SBZ/DDR, hrsg. von Gerald Wiemers in Zusammenarbeit mit der Lagergemeinschaft Workuta/GULag Sowjetunion e. V., Leipzig 2012, S. 64-66
- Elizza Erbstößer, Jutta, Oberursel 2016
- Gerhard Finn, Die Frauen von Hoheneck. Protokoll einer Anhörung, Berlin/Bonn, 1994, S. 16
- Klaus-Rüdiger Mai, Der kurze Sommer der Freiheit. Wie aus der DDR eine Diktatur wurde, Freiburg/Basel/Wien 2023, S. 291 f.